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Christopher Lang hat eine Ausbildung, die nur drei Personen in ganz Österreich haben. Er ist „staatlich geprüfter Brot-Sommelier“. In der Branche gilt er als eine Art Robin Hood der Bäcker. Der 29-jährige Mittelburgenländer setzt sich für jene ein, die das Handwerk noch hoch und die Backwaren frei von unnötiger Chemie halten.
Ein lauer Nachmittag in Strebersdorf, einem Ortsteil von Lutzmannsburg. Im Hof seines Elternhauses öffnet Christopher Lang die Tür eines freistehenden Backofens und beginnt, über seine Leidenschaft zu erzählen. „Brot darf und soll Charakter haben“, ist der gelernte Bäcker überzeugt. „Gutes Brot darf nicht fad schmecken!“ Der Mittelburgenländer zeigt, dass er es mit den blumigen Beschreibungen der Wein-Sommeliers locker aufnehmen kann: „An einer Brotrinde kann man intensive Röstaromen erschnuppern, das fluffige Brotinnere kann mild-säuerlich riechen und malzig schmecken und mit einem schönen, nussigen Abgang präsent bleiben.“
Das Geheimnis eines guten Brotes
Immer mehr Lebensmittel sind heute industrielle Massenprodukte. Oftmals unser täglich Brot. Doch der Trend geht hin zu bewussterem Brotkonsum. Konsumenten besinnen sich beim Brot wieder auf die Backtradition und klassische Zutaten. „Natürliches Brot hat etwas Heimeliges. Sein Duft wirkt beruhigend. Man fühlt sich wie zu Hause.“ Lang meint, dass Konsumenten durch die Chemie in unseren Lebensmitteln verunsichert sind. Das natürliche Brot verkörpert für ihn das Gegenstück dazu. „Es gibt nichts Sinnlicheres als den Duft von frischem Brot.“
„Gutes Brot ist Geschmackssache.“ Und über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten. Auch das Urteil eines geprüftes Brot-Sommeliers ist subjektiv, doch es sagt viel aus: „Für mich ist ein gutes Brot mit Sauerteig gemacht und mit Brotgewürzen versetzt. Es dürfen keine Enzyme, Emulgatoren und Stabilisatoren verwendet werden.“ Und auch das Auge isst mit. „Dunkel herausgebacken soll es sein, der Laib schön aufgesprungen.“
Vom Lehrling zum Sommelier
Christopher Lang leitet eine Backstube mit 15 Mitarbeitern in der Traditionsbäckerei Brandl in Linz. Auch dort fließt seine Philosophie vom natürlichen Brot in die Herstellung mit ein. „Ich lasse unnötiges Zeug, was nicht hinein gehört, einfach weg“, sagt er klipp und klar. „Ich möchte mit meinen Rezepten Sicherheit vermitteln, dass nichts drinnen ist, was nicht hinein gehört.“ Er erinnert daran, woraus Brot besteht: aus Mehl und Wasser.
Ein fachliches Urteil abzugeben, das will gelernt sein. Christopher Lang hat die Lehre in der Bäckerei Koo in Oberpullendorf gemacht. Und dort das Rüstzeug für seine Karriere mitbekommen. Die Prüfung zum Bäcker- und Konditor-Meister war ihm, dem fleißigen und ehrgeizigen Burgenländer, aber nicht genug. Vor fünf Jahren hat er – neben der Arbeit in der Backstube – mit der Weiterbildung zum „geprüften Brot-Sommelier“ begonnen. Diese weltweit exklusive, staatlich anerkannte Ausbildung zum „offiziellen Boschafter für handwerklich gemachtes Brot“ gibt es nur in Deutschland; sie hat zwei Jahre gedauert und ihn an die 10.000 Euro gekostet. „Eine gute Investition in Wissen und Können“, sieht er es heute. „Als Bäcker lernt man, Brot zu backen. Als Brot-Sommelier lernt man, Brot zu verstehen.“ Und professionell zu verkosten.
Wie man Brot verkostet
Wie beim Verkosten eines Weines gelten auch hier einige Regeln. „Das Brot sollte vor dem Verkosten unbedingt ausgekühlt sein“, ist der Brot-Sommelier überzeugt. „Ansonsten verschenkt man die Vielfalt der Aromen.“ Dann beginnt er mit seiner kritischen Begutachtung: „Zuerst schau’ ich mir Form und Farbe an. Ob es rund, oval oder eine urige Form hat, ob es nicht zu hell oder zu dunkel ist und ob Fehler wie Sprünge sichtbar sind.“
Noch am kompakten Brotlaib schnuppert der Sommelier an der Kruste, um röstige oder fruchtige, nussige oder würzige, fettige oder ganz individuelle Duftnoten auszumachen. Durch das Anfassen und Aufbrechen oder Anschneiden kann er beurteilen, ob das Brot butterweich, fluffig, knusprig oder fest ist. „Angeschnitten wird der Laib unbedingt mit einem Sägemesser. Nur so bleibt die Krume, das Innere des Brotes, am Leben.“
Er riecht zuerst an der Kruste und dann – nachdem er den Brotlaib mehrmals leicht zusammengedrückt hat – an der Krume. „Brot kann zwei verschiedene Düfte ausweisen. Die Kruste hat einen anderen Geschmack und einen anderen Duft als die Krume. Das ist anders als beim Wein – der hat nur einen Duft.“
Dinkelbrot mit Honigduft
So wie der Wein beim Verkosten die Geschmacksknospen auf der Zunge erreichen muss, so ist das auch beim Brot der Fall. Christopher Lang nimmt einen Bissen von einer etwas dickeren Scheibe Brot, von Kruste und Krume, und kaut diesen bewusst langsam und lange. So kann er die sich entfaltenden Aromen, von denen es an die 500 geben soll, erkennen und beschreiben.
Für diese Schilderung kennt der Brot-Sommelier viele Fachausdrücke, doch er verwendet nicht so viele blumige Ausdrücke wie die Wein-Sommeliers. „Ich könnte es auch so vielfältig beschreiben, doch meine Philosophie ist eine andere. Ich suche bei jedem Brot nach den typischen Besonderheiten, so zum Beispiel nach dem Honigduft beim Dinkelbrot.“ Brotgewürze würden oft einen besonderen Duft verströmen, aber nicht nur diese. „Im Weizenbrot riecht und schmeckt man eine pflanzliche Grün-Note und das Roggenbrot ist dunkelmalzig-röstig. Ist ein Sauerteig im Brot, spürt man eine harmonische Säure.“ Auch den Salzgehalt prüft er: „Salz ist entscheidend für die Qualität. Zu wenig merkt man und zu viel verursacht eine stechend-salzige Note.“
Viele Wein-Sommeliers schlucken den Wein nicht, das hält Christopher Lang beim Brot anders: „Das Brot wird auf keinen Fall ausgespuckt. Da würde mir das Herz weh’ tun. Das ist ein No-Go für mich beim Brot.“ Parallelen zum Weinverkosten sieht der Brot-Sommelier aber schon: „Durch die Nase ist ein Duft danach spürbar, „retro-nasal“, und ein Geschmackston von hinten – vergleichbar mit dem Abgang beim Wein.“
„Gutes Brot braucht Zeit“
Sein Sommelier-Wissen setzt der Strebersdorfer aber nicht nur in der Bäckerei ein. Mit dem Chef und Freund Franz Brandl hat Christopher Lang das Buch „Geheimnisse aus der Backstube“ geschrieben. Und auch bei Gesprächen mit Hobbybäckern zeigt er, dass er ein Praktiker ist. „Viel Zeit bedeutet mehr Geschmack, mehr Haltbarkeit. Das Brot bleibt saftiger und es ist besser verdaulich.“ In der Zeit der Vergärung würden die Ursachen eventueller Unverträglichkeiten abgebaut.
Große Pläne
Der Bäcker hätte es nicht zum Brot-Sommelier gebracht, wenn er nicht sehr fleißig und ehrgeizig wäre. Christopher Lang gilt aber auch als kreativ und zielstrebig. Den nächsten Schritt hat er schon im Auge. „Ich möchte mich selbständig machen mit der Abhaltung von Backkursen, der Beratung von Firmen und einem Online-Shop“, skizziert er seine Pläne.
Bei allen Wünschen nach Veränderung will er eines beibehalten: den Bezug zu seinem Heimatort Strebersdorf. Alle zwei Wochen zieht es ihn ins Elternhaus, seit Kurzem gemeinsam mit seiner Linzer Freundin. „Strebersdorf ist für mich Ruhe pur, Entspannung, Entschleunigung von der Großstadt“, sagt Christopher Lang. Doch das Backen kann er auch im Burgenland nicht lassen. Hier testet er neue Rezepte im Brotbackofen, den ihm sein Vater aus einer alten „Selch“ umgebaut hat. Und gleich danach gibt es immer eine Familien-Verkostung. Bei dieser zelebriert Christopher Lang das Anschneiden des Brotes mit derselben Geste wie früher sein Großvater: Er macht mit dem Messer drei Kreuze auf den Brotboden. Eine althergebrachte Wertschätzung des Lebensmittels Brot.